Arbeiten um zu leben oder leben um zu arbeiten?
Früher arbeitete der Mensch gerade soviel, damit er ein Dach über den Kopf hatte, seine Familie ernährt und bekleidet bekam und den Winter überlebte. So nahm die Arbeit soviel Raum in jemandes Persönlichkeit ein, wie gerade nötig.
Maxime wie der Sonntagsausflug, der leckere Samstagseintopf und der Fernsehabend mit den Lieben daheim, das war das höchste der Bedürfnisse.
Da war es auch nicht wirklich die Begierde eines Menschen Designerfood, Gesundheitsmittelchen und Silikonimplantate in sich reinzustopfen.
Morgens aufstehen, ein kurzer Kampf auf der Arbeit, den man, nachdem man die Tür nach Feierabend hinter sich zumachte, hinter sich ließ.
Diese Zeiten kenne ich noch. Das modernste was man haben konnte, war der Plattenspieler, einen grobschlächtigen Fernseher und für die Taschenrechner bezahlte man noch hunderte Mark.
In der Zeit meiner nun seit 23 Jahren andauernden Berufstätigkeit habe ich eines festgestellt:
Der Mensch hat aufgehört Mensch sein. Der Mensch hat sogar begonnen genau auf diesen Umstand fußend eine neue, ja sogar marktorientierte Lebenswelt aufzubauen.
Früher wurde es genau verstanden, dass sich nur soviel aus dem Mitarbeiter herausholen ließ, wie er von sich geben wollte.
Mitarbeitermotivation hatte da noch eine gewisse Bedeutung und so funktionierte es soweit, dass ein Mitarbeiter, wenn alles glattlief, freiwillig mehr tat als er eigentlich musste.
Es bestand ein Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen. Nur so etwas kostete viel Zeit und Geld.
Zeit und Geld welches man heute nicht mehr hat, oder vielleicht nicht haben will?
So entwickelte sich ein selbsttragendes Konstrukt, dass aus einem gewissen Zwang heraus alles getan wird, was der Arbeitgeber will.
Genährt aus den sorgsam lancierten Begriffen wie Arbeitslosigkeit, Armut und Luxusstreben.
Der Arbeitgeber kümmert sich strategisch immer fein darum der arbeitenden Bevölkerung mitzuteilen, dass genügend andere Leute nur darauf warten, meinen Job zu übernehmen.
Und das noch für weniger Geld.
Ein sehr schönes Mittel den Untergebenen bei der Stange zu halten und dass er ja keine Forderungen stellt.
Schlimmer noch: Diese Angst seinen Job zu verlieren, oder die lauernde Möglichkeit nicht genug Geld zu haben für das neueste Handy oder den schönen Urlaub beherrscht die Gedanken der meisten Menschen.
Fein säuberlich kümmert sich das oberste Management darum, dass diese Angst über alle Zwischeninstanzen der Abteilungleiter verteilt wird, indem diesem eine Maßgabe für das kommende Jahr präsentiert wird, die es zu erreichen gibt.
Sinniger Weise koppelt man diese Maßgabe an die Höhe des Salärs, je nach Erreichung der Zielsetzung.
So mutieren die Kollegen von einst zu autokratischen Einpeitschern, damit der Plan erfüllt wird.
Aus purer Angst seinen Lebensstandard oder seinen Job zu verlieren.
Zwang und Druck regiert unsere Leistungsfähigkeit.
Aber eine sehr wichtige Sache wurde bereits verloren: Die Menschlichkeit.
Es wird nicht mehr gefragt, ob die Überstunden, die ständig gemacht werden auf Kosten eines intakten Familienlebens gehen.
Ob man überhaupt Zeit hat, das Geld was man verdient auszugeben. Diese Zeit wird meist teuer mit teuerem Urlaub und aberwitzigen Freizeitaktivitäten erkauft.
Verwundert reiben sich die Leute nur die Augen, wenn in den Nachrichten zu erfahren ist, dass psychische Erkrankungen zweistellige Wachstumsraten verzeichnen.
Oder dass sich in großen Firmen Menschen am Standort ihrer Arbeitnehmer das Leben nehmen, wie in Frankreich, Japan und China.
Dass Scheidungsraten in die Höhe schnellen, Lebenspartner und Kinder vernachlässigt werden und genervte Mitarbeiter kurzerhand ihre Monitore aus dem Fenster werfen, sind recht nachvollziehbare Folgen.
Ich staune nicht mehr darüber, dass unsere Jugend mit „Perspektivlosigkeit“ in Einklang gebracht wird. Na klar: Als sorgsame Beobachter ihrer Umwelt und der Gefühlswelt stellen sie doch oft resigniert fest, dass die Zukunft leider nicht die ist, die man sich wünscht, sondern die die aufdiktiert wird.
Ein kurzes Auflehnen in der Pubertät oder im jungen Erwachsenen-Dasein mit teilweise strafbaren Verhaltensweisen sind nur die Entladungen die aus dem Druck erwachsen.
Sie fragen sich auch nur, ob es richtig ist, dass Kinder ihre Eltern eher zufällig treffen.
Und wenn sie sie sehen, werden sie Zeuge der Auswirkungen des immensen Drucks der Arbeitswelt.
Sie merken es sehr genau, dass das Schulsystem sie bereits in diese Richtung trimmt. Da kann es nur zur gewagten Revolution gegen das System kommen.
Aber irgendwann werden auch sie verstehen, dass man gleichgeschaltet werden muss, damit man mit dem Stechschritt der unmenschlichen Marktwirtschaft mithalten kann. Und danach erkauft man sich wieder mit Statussymbolen ein Stückchen weit kurzes Glück und Freiheit.
Und bei dieser Umwelt will unsere Regierung, dass mehr Kinder in die Welt gesetzt werden?
Wie soll das gehen? Naja, eine Idee habe ich ja: Subventioniert doch einfach mal die Arbeitsgeber, den Mitarbeitern mal freizugeben, damit diese mal Zeit haben sich zusammen zu finden.
Nicht der Menschen wegen, nicht des familiären Glücks wegen, will der Staat das. Nein, da stößt er in das gleiche Horn der Marktwirtschaft: Der Forecast und der Cashflow stimmen einfach nicht!
Nun macht doch mal, der Staat braucht treue Steuerzahler.
mindangel am 01. April 11
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